Einführung

Skulpturen

Andreas Kuhnlein


Anna Wondrak M.A.


Kunst hat viele Facetten: es gibt schöne Kunst - die auf den ersten Blick dekorativ ist und auf den zweiten auch nur so bleibt und nicht mehr wird. Es gibt verstörende Kunst - die Unangenehmes thematisiert mit dem einzigen Ziel, zu verwirren, nicht zu erklären oder zum nachdenken anzuregen. Es gibt komplizierte Kunst - die sich einem ohne entsprechendes Wissen über den Künstler nicht gleich erschließt. Doch am freiesten ist die Kunst, wenn sie sich nicht nur an einen bestimmten Rezipienten richtet, sondern für jeden erfahrbar ist, der sich darauf einlassen will. Wenn es Kunst für alle wird.

Und Andreas Kuhnlein will jedem, der offen und neugierig auf seine Kunst ist, den Zugang zu ihr ermöglichen. Seit 1983 hat er sich der Bildhauerei verschrieben. Wenn man dreidimensional arbeitet und nicht in der Fläche bleibt, dann ist die Suche nach der Form im Raum zu Beginn essentiell. Andreas Kuhnlein arbeitet anfangs abstrakt, fertigt aber schon bald - vorwiegend in Stein und Bronze, aber auch in Holz klassische Portraits an. Am Liebsten stellte er ältere Menschen dar, in deren zerfurchter Haut sich die Spuren des Lebens eingegraben haben und jede Falte eine Geschichte erzählt. Durch die Auseinandersetzung mit dem was war, was ist und was kommt, nahm für Andreas Kuhnlein der Aspekt der Vergänglichkeit eine immer zentralere Rolle ein.

Stein ist ein kaltes, hartes und sprödes Material. Bronze kann wieder geschmolzen und neu gegossen werden. Holz hingegen ist ein Material, das aufgrund seiner Lebendigkeit einen hohen Identifikationswert für den Menschen besitzt. Es ist ein organischer, lebendiger, wachsender Stoff. Es kann stark und solide sein, aber auch verletzlich. Es reagiert, zieht sich zusammen, reißt - es ist also ideal, um unterschiedliche Gefühle zu transportieren.

Bäume sind nicht immer gesund - sie werden auch krank, stürzen von alleine um oder werden vom Sturm gefällt. Und genau diese Bäume besonders Sturmhölzer sind es, mit denen Andreas Kuhnlein arbeitet und aus denen er seit knapp 16 Jahren seine Figuren fertigt. Der menschliche Körper ist dabei das zentrale Thema. Doch es steht nicht die bloße Abbildung von Körperlichkeit im Vordergrund, ganz im Gegenteil. Zu Beginn entwickelt Andreas Kuhnlein als Ausgangspunkt für eine Skulptur eine konkrete Idee - Vorstudien oder Zeichnungen gibt es keine. Mit der genauen Vorstellung im Kopf sucht er dann einen geeigneten, großen Baumstamm aus - denn die Figuren sind nicht etwa zusammengesetzt, sondern entstehen aus ganzen Stämmen.

Die Holzbildhauerei, besonders - wie auch hier - mit der Motorsäge, ist ein körperlich anstrengender Prozess. In diesem arbeitet Andreas Kuhnlein Stück für Stück seine Figuren, alles Unikate, aus dem Stamm heraus. Das erfordert trotz der auf den ersten Blick vielleicht grob erscheinenden Arbeitsweise viel Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge für Proportionen. Andreas Kuhnlein arbeitet fast nur mit Eiche, einem Hartholz, das während dem Arbeiten zusätzlichen Widerstand gibt.



Wenn Sie nun die Skulpturen betrachten werden Sie feststellen, dass sie sich verändern: von Weitem wirken sie in sich geschlossen, zeigen eine kompakte Form. Wenn Sie aber näher an sie herangehen, dann sehen Sie eine zerklüftete Oberfläche, die sich durch alle Skulpturen zieht und sie aufbricht. Die Skulpturen legen dadurch das Innere des Baumes offen, und damit auch unser eigenes Innerstes: Und nun sind wir wieder bei der Kunst, die alle von uns anspricht, denn die Themen, um die sich die meisten Skulpturen von Andreas Kuhnlein drehen, sind essentiell und betreffen jeden von uns.

Betrachten wir doch einmal die Skulptur "Sinnfrage", die eine Büste zeigt. Auf dem Kopf sitzt ein pilzartiger Hut, der die Augen etwas bedeckt. Die eingeschränkte Sicht scheint den Blick zusätzlich nach Innen zu lenken - zur Sinnfrage. Die Identifikationspalette ist groß: ein Jugendlicher auf dem ersten Selbstfindungstrip; ein Mensch mittleren Alters, der innehält und bisher Erreichtes betrachtet; oder der Greis, der über sein ganzes Leben sinniert und überlegt, welche Spuren er hinterlassen hat. Doch es gibt hier nicht nur einen individuellen Sinn. Bei dieser Art von Darstellung denkt man vielleicht auch an Krieger- und Soldatendenkmale; und an den Sinn oder Unsinn ihres Todes.

Dieser kontemplative, in sich gekehrte Moment zieht sich durch fast alle Figuren. Auch bei "Auszeit" sieht man eine Figur, die in die Hocke gegangen ist, eine Pause macht, nachdenkt. Sie befindet sich auf einem runden Sockel: an ihm können Sie noch den Umfang des Baumes sehen, aus dem sie hervorgegangen ist.

So, wie die Skulpturen in der Bewegung innehalten, sind auch Sie als Betrachter dazu eingeladen, einen Augenblick zu verharren, bevor es wieder weiter geht: "Hängepartie" heißt die Skulptur, die sich mit den Händen abstützt, zu verschnaufen scheint, um sich im nächsten Moment nach oben zu ziehen. Sie ist eine der wenigen Skulpturen, die den Blick fordernd und aufmerksam nach vorne richtet und nicht nach Innen. Die zeigt, dass man sich auch nach oben kämpfen können muss, wenn es darauf ankommt. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen zeigt sich sowohl in der Skulptur, als auch im übertragenen Sinne.

Attribute haben die Dargestellten selten, denn ihre Haltung ist aussagekräftig genug. Doch es gibt auch Skulpturen mit zusätzlichen Details: den "lmperator" erkennt man auf den ersten Blick an seinem Siegeskranz; der ernste spitze Mund mag auf seine Anspannung über die Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet, verweisen. Sehr konkret ausgearbeitet ist die Skulptur mit dem Titel "Spätschicht", deren verschlossene und unsichere Körperhaltung von einer Umhängetasche und einer Zigarette in der Hand gerahmt wird. Die zerklüftete Oberfläche, die dem Betrachter einen Blick unter die Oberfläche gewährt, spiegelt deutlich die Verletzlichkeit des Menschen wider.

Es gibt aber auch Skulpturen, die sich konkret auf historische Figuren beziehen, wie z.B. die Büste eines bärtigen Philosophen mit dem auf Sokrates verweisenden Titel "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Auch die Skulptur "Agnes Bernauer A Bavarian Tragedy" bezieht sich auf die Geliebte / Ehefrau des bayerischen Herzogs Albrecht III aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Albrechts Vater ließ Agnes aufgrund ihrer bürgerlichen Abstammung in der Donau ertränken. Genau diese Szene sieht man hier: ein Mann auf einem Pferd ist gerade dabei, die nach hinten geneigte Frau mit einem Stab in die Fluten der Donau zu drücken.

Die beiden Stellvertreter entstammen aus einer größeren Gruppe, die für zwei Kooperationsprojekte einer Ausstellung über Otto den Großen in Magdeburg und in der Toskana realisiert wurden. Die glatten Gewänder symbolisieren eine standfeste, große Institution, hinter der sich aber einzelne Menschen verbergen, wie man an den zerklüfteten Gesichtern ablesen kann.

Die "Stationen des Lebens" zeigen nicht nur die Entwicklung des Menschen von der Urzeit bis in die Gegenwart, sondern manch einer sieht darin vielleicht auch die eigene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen. Jeder von uns ist in einer anderen Lebenssituation, und je nach Lage werden sich einige von Ihnen mal mehr, mal weniger mit bestimmten Figuren identifizieren können. Eine einzig und alleine richtige Leseart gibt es nicht. Andreas Kuhnleins Skulpturen transportieren das Wesentliche, ein auf eine Kernaussage reduziertes Fragment. Wie wir das beurteilen, einordnen, oder ob es überhaupt einer Einordnung bedarf, bestimmen wir ganz allein. Sicher ist nur, dass wir unabhängig davon das Dargestellte so gut nachvollziehen können, weil die Skulpturen verschiedene Gefühlszustände und Lebenslagen zeigen, in denen wir uns fast alle schon einmal befunden haben oder gerade befinden.

In unserer schnelllebigen Weit, in der Hochglanzmagazine oberflächliche Perfektion suggerieren, von uns im Beruf ständig vollste Flexibilität und Einsatz gefordert wird und wir uns auch in anderen Lebensbereichen ständig messen und vergleichen müssen, wird oft kein Blick mehr hinter die Fassade gewährt.

Auch einmal schwach zu sein oder verletzlich, wird uns selten zugestanden. Ebenso, dass wir unsere Inneres nach Außen kehren, ohne gleich bewertet zu werden. Die Skulpturen von Andreas Kuhnlein geben uns die Möglichkeit, sich wieder auf grundlegende Gefühle und Zustände zu konzentrieren und sie auch zuzulassen. Dabei lässt uns das Fragmentarische der Figuren einen Moment innehalten, nachdenken und konfrontiert uns dadurch mit der Vergänglichkeit unseres eigenen Seins.

Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Skulptur "Unten": hier spürt man förmlich die Bürde, die auf den Schultern lastet, unter denen die Figur eingeknickt ist, aber sie andererseits auch stabil und stoisch zu (er)tragen scheint. Wenn es Ihnen nicht gut ging, Sie unten waren und jetzt wieder oben sind, freuen Sie sich an der guten Zeit - oder wenn Sie noch unten sind, dann denken Sie dran: alles ist im Fluß und auch schlechte Zeiten sind nicht von Dauer.


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